Sonntag, 17. Januar 2021

Interviews mit Autor*innen der Märchenanthologie - Teil 1

In schöner Tradition habe ich auch den Beteiligten der Anthologie "Ayumi und die Prinzessin der Meere" allen die selben Fragen gestellt. Hier ist der 1. Teil der Antworten, die Fragen lauten:

1. Was bedeuten Dir Märchen/was verbindest Du mit ihnen und welches ist Dein Lieblingsmärchen?

2. Was hat Dich zu Deinem Märchen inspiriert und welche Idee/Aussage verfolgst Du damit?


Katherina Ushachov * Die Gefallenen

1) Ich bin mit Märchen aufgewachsen – sie wurden mir regelmäßig vorgelesen und eins der wenigen Relikte, die ich noch von meiner verstorbenen Oma besitze, ist eine selbst aufgenommene Kassette, wo sie mir Märchen vorliest und ich immer mal dazwischenspreche. Die Kassette hat sie damals aufgesprochen, kurz bevor wir nach Deutschland ausgewandert sind, damit ich wenigstens diese Erinnerung habe.

Später wanderte sie mit aus und ist in Deutschland verstorben, aber die Kassette habe ich immer noch (auch wenn ich sie nicht abspielen kann).

Seit 2016 bin ich Teil der Gemeinschaft "Märchenspinnerei", wir veröffentlichen regelmäßig Märchen in neuem Gewand, um zu zeigen, dass die Märchen von damals zeitlos aktuelle Thematiken in sich tragen, die auch den (erwachsenen) Menschen von heute viel aussagen und mitgeben können. Mich nach der Kindheit wieder mit Märchen zu beschäftigen, gab mir einen vermissten Teil meiner Identität zurück, von dem ich zuerst gar nicht merkte, dass der fehlt.

Mein Lieblingsmärchen ist "Die tote Zarewna", das ich mit dem Roman "Der tote Prinz" adaptiert habe.


2) "Die kleine Meerjungfrau" war immer schon ein queeres Märchen. Der Autor verarbeitete darin seine eigenen Erfahrungen, in der zerreißenden Diskrepanz aus seinem eigenen Glauben, seiner dadurch internalisierten Homomisia und seinen Wünschen nach Liebe und Geborgenheit. Nicht umsonst wird heute auch von vielen trans Personen das Märchen als Parabel auf den Wunsch der Transition gelesen.

Für mich fühlte es sich nicht zuletzt darum auch so natürlich an, die Geschichte in eine nicht näher bestimmte Jetzt-Zeit zu tragen und mit heutigen Problematiken (Kapitalismus, Klimawandel) zu verbinden, gleichzeitig vieles dennoch unbestimmt und unausgesprochen zu lassen, um Raum für eigene Interpretationen zu bieten.


Katherina Ushachov ist freie Lektorin und Autorin (u.a. Stahllilie und der mechanische Löwe (Littera Magia), August 2019 )

https://feuerblut.com

https://www.facebook.com/katherina.ushachov.autorin

https://twitter.com/evanesca


Mo Kast * O Hexenkind, mein Hexenkind

1) Was bedeuten Dir Märchen/was verbindest Du mit ihnen und welches ist Dein Lieblingsmärchen?

Ich bin mit Märchen groß geworden und ich hatte auch eine Ausgabe von den Grimm Märchen, die nicht geschönt wie Disney waren. Ich war fasziniert, wie unterschiedlich und manchmal auch grausam Märchen sein konnten, und wie viel man aus ihnen auch in unsere heutige Zeit mitnehmen konnte. Ein Lieblingsmärchen habe ich allerdings nicht, aber "Die Boten des Todes" fand ich recht cool.

2) Was hat Dich zu Deinem Märchen inspiriert und welche Idee/Aussage erfolgst Du damit?
Da ich sehr visuell geprägt bin, hatte bei dem Thema "lesbisches Märchen" sofort ein Bild vor Augen mit einem Mädchen, das nachtschwarze Haare hat, und einem, das strahlend hell wie ein Stern war. Dann kam mir der Gedanke, was wäre, wenn sich ein Mädchen in einen Stern verliebt? Und warum verliebt sie sich in den Stern? Vielleicht weil sie sich fremd in der Welt fühlt, nicht angenommen von anderen Menschen. Möchte man es modern ausdrücken, geht es um Mobbing – auch darum, wie aus einem Mobbingopfer selbst ein Mobber werden kann – und dass Akzeptanz und Liebe der einzige Weg aus solchen Mechanismen ist.


Mo Kast ist Designerin und Illustratorin und erfolgreich mit ihren selbstverlegten Büchern, die sie auch illustriert.

www.mokast.de


Jan Jürgenson * Das Herz einer Löwin

1) Märchen begleiten uns schon in Kindertagen. Sie unterhalten uns, inspirieren uns, ziehen uns in ihren Bann und bringen uns nebenbei auch noch etwas bei. Die Moral von der Geschichte eben. Toll ist es auch dass alte Märchen nicht aus der Mode kommen und dass ständig neue hinzukommen wie mit dieser Anthologie z.B. Man weiß ja nie, ob sie vielleicht mal ein Klassiker wird ;-) In der Welt der Märchen ist vieles oft einfacher als im wahren Leben, und am Ende gibt es meistens ein Happy-end – zumindest für die Guten darin. Wäre es im wahren Leben doch auch so einfach ;-)

Mein Lieblingsmärchen? Oh, das ist schwer, weil es so viele toll gibt. Zählen auch Märchenfilme dazu? Dornröschen könnte ich an dieser Stelle nennen. Aladin und die Wunderlampe, Die Schöne und das Biest aber auch Das hässliche Entlein. Wie letzteres habe ich mich schon oft gefühlt, was also zeigt, dass Märchen nicht nur für kleine Kinder sind, sondern auch für große Kinder. Zudem inspirieren mich Märchen, um daraus neue Geschichten zu machen, weil ihre Botschaften einfach zeitlos und universell sind, und damit wären wir schon bei der anderen Frage.

 

2) Zuerst dachte ich, ich könnte überhaupt kein Märchen für und über Frauen schreiben. Dann war da aber eine Idee, und ich habe mich ein bisschen schlau gemacht, recherchiert, um dieser Idee auch gerechnet werden zu können – wenn ich schon über das Volk der Amazonen schreibe, und Sappho von Lesbos passte auch ganz gut dazu. Alles stolze und mutige Frauen und das in einer Zeit, wo man von Gleichberechtigung noch weit entfernt war, würde ich mal behaupten. Aber solche Frauen gab es sicherlich schon immer, nicht erst in der heutigen Zeit. Ich habe mir dafür ein Mädchen stellvertretend rausgepickt, um zu zeigen, welchen Weg man gehen kann oder vielleicht auch muss, um der Mensch zu werden, der man ist oder zumindest gerne sein würde. Das ist nicht immer leicht, und oft werden einem Steine in den Weg gelegt, man zweifelt selbst an sich oder hört auf die Stimmen der anderen. Es ist aber immer die eigene Entscheidung, was man aus seinem Leben macht. Meine Hauptfigur Apollina verändert sich meiner Meinung nach im Laufe der Geschichte nicht, auch wenn sie hier und da aneckt. Sie bleibt sich immer treu, auch wenn das mitunter Tränen kostet. Am Ende findet sie aber ihren Platz auf der Welt, wo sie hingehört und so sein kann, wie sie ist. Das wünsche ich eigentlich jedem Menschen. So angenommen zu werden, wie man ist und nicht so, wie anderen einen gerne hätten. Es ist nicht immer einfach anders zu sein, aber wenn wir alle gleich wären, wäre es auch langweilig, oder? Zudem gibt es wohl auf der Welt keine zwei gleichen Menschen. Irgendwie ist man doch immer etwas anders, mal mehr mal weniger, äußerlich und oder innerlich. Und die Steine auf unserem Lebensweg können mitunter auch riesig sein, zumindest aber uns so vorkommen. Im Fall meiner Geschichte sind es sogar ein paar der alten Götter, aber auch die sind nicht immer und alle böse. Am Ende findet Apollina zudem mehr, als sich sicherlich am Anfang der Geschichte erhofft hat oder erhoffen konnte.

 

Jans erstes eigenes Buch erscheint voraussichtlich dieses Jahr. Er ist zu finden unter: https://www.facebook.com/jan.juergenson.7543 oder unter buch.boy bei Instagram


Saskia Rönspies * Von einer unerwünschten Liebe

1) Schon als kleines Mädchen habe ich Märchen geliebt. Ich besaß ein großes Märchenbuch mit schönen Zeichnungen, aus dem mir meine Eltern vorgelesen haben, bevor ich selbst lesen konnte. Es waren Märchen der Brüder Grimm. Ein Buch, das ich sogar heute noch besitze und in welches ich noch immer gern hineinschaue.

Erst als ich älter wurde, las ich auch Märchen von Hans Christian Andersen, die mir ebenfalls sehr gut gefielen, obwohl oder vielleicht weil sie zum Teil viel trauriger und nachdenklicher waren als die der Brüder Grimm. Besonders gerne mag ich bis heute Märchen, in denen eine starke Frau ihr Schicksal selbst zu bestimmen versucht. Mit Schneewittchen und Rapunzel, die passiv auf ihren Prinzen warten, konnte ich schon als Kind wenig anfangen. Die kleine Meerjungfrau oder die kluge Bauerntochter waren schon eher nach meinem Geschmack. Frauen, die wissen, was sie wollen und dafür einstehen. Ein Figurentypus, der mir auch heute in meinem bevorzugten Lese- und Filmgenre Fantasy besonders gut gefällt. Und einer, den ich in meiner eigenen Fantasy-Trilogie selbst zum Leben erweckt habe. Weitere starke Frauen warten in meiner digitalen Schublade ebenfalls darauf, ihre Welten besser machen zu dürfen. Ich bin mir sicher, dass es Märchen waren, die mir den Weg dorthin gezeigt haben. Die mir eine Welt jenseits meines Alltags eröffnet haben, in die ich nur zu gerne verschwunden bin, wann immer sich die Gelegenheit bot.

Ein ganz besonderes Märchen war für mich immer Brüderchen und Schwesterchen von den Brüdern Grimm. Die Liebe von Schwesterchen zu ihrer Familie, insbesondere zu ihrem Bruder, ihre Treue und ihre Stärke über den Tod hinaus haben mich immer zutiefst beeindruckt. Vielleicht weil auch ich einen kleinen Bruder habe, der mir sehr viel bedeutet und zu dem ich – nach einer ungewollten und traurigen Phase der Entfremdung – nach meinem kürzlichen Coming Out langsam wieder ein innigeres Verhältnis aufbaue. Und weil auch ich alles tun würde für die wenigen Menschen, die ich wirklich liebe.

Als ich schon längst erwachsen war, machte mir das Fernsehen die große Freude und verfilmte in der Reihe 6 auf einen Streich diverse Märchen. Fortan saß ich an den Weihnachtsfeiertagen stets vor dem Fernseher und erfreute mich daran, meine alten Bekannten in behutsam modernisierten Settings erleben zu dürfen. Natürlich steht Brüderchen und Schwesterchen als DVD in meinem Regal und muss keine Angst vor dem Einstauben haben, denn wie viele andere Märchen inspiriert es mich noch heute zu neuen Geschichten, die ich auf Papier banne, um sie mit anderen Menschen teilen zu können.


2) Schon immer war mein Leben bestimmt von tiefgreifenden Wendungen und umstürzenden Überraschungen. Eine davon war, dass ich mich nach 11 Jahren Ehe mit einem Mann in meine beste Freundin verliebt habe. Erst waren wir tatsächlich nur Freundinnen, haben uns aber nach und nach immer weiter angenähert. Und wie das Leben so spielt, wurde daraus schlussendlich eine wunderbare Beziehung. Da ich unheimlich schnell einschlafen kann – und es mir auch regelmäßig passiert, dass ich einschlafe, wenn ich es mir gemütlich mache -, verpasste mir meine Freundin irgendwann den Spitznamen Dornröschen.

Als ich die Ausschreibung für die Märchen-Anthologie entdeckte, kam es mir aus diesem Grund sofort in den Sinn, eine Adaption von Dornröschen zu schreiben. Eine, in der Dornröschen nicht von einem Prinzen, sondern von einer Prinzessin wachgeküsst wird. Etwas, was im Grunde auch meine Freundin mit mir getan hatte. Jahrelang hatte ich in der unerfüllten Ehe mit einem Mann, den ich zwar bis heute sehr mag, aber körperlich nie begehrte, vor mich hingedämmert, ehe sie kam, mich erweckte und mir zeigte, wer ich wirklich bin. Daher inspirierte meine Freundin mich nicht nur zu dem Märchen an sich, sondern auch zur Figur Juliana.

Allerdings wollte ich nicht, dass es eine bloße Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen wird. Im Zusammenhang mit meinem Coming-Out beschäftigte ich mich ausgiebig mit lesbischer Literatur, Filmen und queeren Themen. Da mein Bruder schwul ist, hatte ich schon immer ein offenes Auge dafür gehabt, aber nun intensivierte ich mein Interesse. Mit Erschrecken stellte ich fest, wie viel Homophobie noch immer überall auf der Welt existiert. Dagegen wollte ich mit meinem Märchen ein Zeichen setzen. Daher schuf ich mit Julianas Königreich eine Gesellschaft, in der jede Lebensweise toleriert und für normal erachtet wird. Als Gegenpart setze ich die fremde Königin, die alle von heteronormativen Vorstellungen abweichenden Formen von Liebe ablehnt. Gegen diese muss die Heldin nicht nur bestehen, um ihre Liebste zu befreien, sondern auch, um eine Welt zu retten, in der alle Lebensweisen willkommen sind. Eine Welt, wie wir alle sie uns wünschen und für die es sich zu kämpfen lohnt.


Saskia Rönspies veröffentlichte 2017 und 2019 die ersten beiden Bände ihrer Fantasy-Trilogie Die Melodie des Lichts um eine junge Kriegerin in einer patriarchalischen Welt als Selfpublisherin bei BoD.

www.facebook.com/Die-Melodie-des-Lichts-811278849057212

www.instagram.com/autorin_saskia_roenspies/


Anja Lehradt * Der Drache mit den Sternenaugen

1) Ich verbinde mit Märchen vor allem meine Kindheit. Meine Oma hatte ein großes Märchenbuch mit Märchen aus Tadschikistan. Daraus hat sie mir immer vorgelesen. Ich habe es geliebt. Sobald ich lesen konnte, haben meine Eltern mir ein dickes Märchenbuch gekauft und ich konnte eintauchen in die Welt der Wunder, Zauberer, Hexen, sprechenden Bäumen und Töpfen. Ich bin überzeugt, dass hier der Grundstein für meine Liebe zur fantastischen Literatur gelegt wurde. Ich habe kein spezielles Lieblingsmärchen.


2) Ich wollte unbedingt ein Märchen schreiben, in dem ein Drache vorkommt. Der Rest ergab sich dann bei einem Spaziergang.


Anja Lehradts erste Veröffentlichung war Dark Road, der erste Band aus dem Otheiá-Zyklus, den sie 2020 noch einmal überarbeitet und erneut veröffentlicht hat. Unter dem Pseudonym Claire Ashburne veröffentlichte sie A Cup of Tea, please. Derzeit arbeitet sie am zweiten Band aus dem Otheiá-Zyklus, übersetzt den ersten in die englische Sprache und arbeitet parallel an einer zweiten Geschichte für Claire Ashburne.


Nadine Engel * Das Lied der Sirene

1) Ich liebe Märchen, daher war mir auch sofort klar, als ich die Ausschreibung sah: „Ich muss da mitmachen“.

Ich verbinde mit Märchen Erinnerungen an meine Kindheit. Die Sprache, Reime, Sprüche, das habe ich immer schon geliebt. Was mich heute fasziniert, ist die Tatsache, dass man Märchen sowohl als Kind mit Spannung lauscht, doch als Erwachsener oft noch ganz andere Dinge in der Geschichte erkennt. Also Unterhaltung für Jung und Alt gleichermaßen mit einer Moral. Vermutlich ist genau deswegen mein Lieblingsmärchen „Das hässliche Entlein“. Egal was andere sagen, ob man missverstanden und verstoßen wird, man muss seinen eigenen Weg gehen. Wer sich selbst erkennt, kann strahlen.


2) Mir war klar, ich will und muss eine Geschichte einreichen. Ideen hatte ich gleich mehrere, doch welche sollte ich verfolgen? Dank eines Hinweises einer lieben Autorenfreundin fokussierte ich mich auf das Element Wasser. Und ich freue mich riesig, dass wir beide nun in dieser Anthologie vertreten sind.
Ich finde es grandios, dass diese Sammlung die Möglichkeit bietet, mit typischen Klischees zu brechen. Starke Frauen gab es schon immer in Märchen, hier haben sie nun ihre eigene Plattform und können sich völlig frei entfalten. Wer uneigennützig handelt, wird belohnt. Ein reines Herz kann mehr erreichen, als Krieger in Rüstungen. Genau das wollte ich einfangen und verpackte dies in ein Märchen über eine verfluchte Sirene.


Nadine Engel veröffentlichte bisher: Erinnerungen | Grey Gull Puplications Anthologie: Winterkälte und Weihnachtsgrauen, November 2020 sowie: Die Muse Musica | net-Verlag Maria Weise Anthologie: Lebendige Noten, Dezember 2020, und ist auf Instagram unter nadine_h_engel zu finden.

Wer jetzt neugierig geworden ist, findet die Anthologie als eBook und Taschenbuch bei Amazon!

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