Jannis ist Blogger, Autor, Herausgeber, Pädagoge, Historiker, Kulturveranstalter, Redakteur und, und, und - ein Tausendsassa. Sein erster Roman "Plattenbaugefühle" erschien 2011 in Größenwahnverlag, die Fortsetzung "Großstadtgefühle" erschien gerade bei Michason & May.
Daneben veröffentlichte er Erzählungen und Kurzgeschichten, unter anderen bei der Queer-Reihe im Größenwahnverlag ("Liebe und andere Schmerzen"), wo er als Herausgeber fungiert. Im September folgt mit Liebe/r Kim ein Briefroman.
Wir lernten uns über meine Anfrage zu einer Buchrezension kennen, Beiträge auf seinem Blog
Schmerzwach, Anthologietexte und zwei Treffen folgten. Nun freue ich mich, dass Jannis mal auf meinem Blog interessante Antworten gibt.
Wie lange hast Du an Deinen
Romanen/Büchern geschrieben und wie lange hat es dann bis zur
Veröffentlichung gedauert?
Vielleicht beginne ich mit dem
krassesten Beispiel: „Liebe/r Kim“ brauchte genau 20 Jahre vom
ersten Wort bis zur Veröffentlichung. Das werde ich später noch
näher erläutern.
Bei meinem ersten Roman
„Plattenbaugefühle“ war es nicht ganz so lange, da lagen etwas
mehr als zwei Jahre dazwischen. Am Rohentwurf hatte ich ein
Dreivierteljahr geschrieben, wobei der Prozess des Schreibens sehr
exzessiv war. Ich verfasste das erste Drittel innerhalb von 5-6
Wochen, das zweite Drittel innerhalb von zwei Wochen, davon zehn Tage
in der Türkei (das erklärt Afyons Nationalität), das letzte
Drittel brauchte erneut 5-6 Wochen. Dazwischen pausierte ich. Das
Werk war also beendet: Ich schickte das Manuskript an drei oder vier
Jugendbuchverlage, erfolglos – dann lernte ich bei der Buchmesse
2010 meinen Verleger Sewastos Sampsounis kennen, von da an benötigte
ich noch ein Jahr und sehr viele Überarbeitungen. Daran habe ich das
Schreiben gelernt.
Was bedeutet Dir am meisten beim
Schreiben?
Als Kind spielte ich sehr viel Lego,
ich liebte es, wenn kleine Städte entstanden. Später am PC war ich
von Sim City fasziniert, da konnte man auch Städte aufbauen. Dieses
Erschaffen einer großen Sache, das reizt mich sehr. Beim Schreiben
kreiere ich ein neues Universum, mein eigenes kleines Universum –
das macht mich glücklich! Tatsächlich ist für mich das Schreiben
in erster Linie Spaß und Freude, natürlich gibt es Ausnahmen
(Liebe/r Kim!).
Du hast einen besonderen Stil, er
hat etwas assoziatives, schneidet Bilder und Stimmungen an … Wie
beschreibst Du Deinen Stil?
Den eigenen Stil zu beschreiben ist
immer etwas schwierig, das sollten besser die Leser/innen oder noch
besser Literaturwissenschaftler/innen tun. Vielleicht kann ich ein
paar Prinzipien nennen, die mir wichtig sind. Authentizität gehört
sicherlich dazu, meine Figuren und Settings sollen echt und
realistisch sein. In Plattenbaugefühle habe ich reale Vorbilder aus
meinem Berufsleben genommen (natürlich anonymisiert) und versucht
ihre Sprache zu benutzen. Unterhaltsam möchte ich sein, nichts finde
ich schlimmer als gelangweilt zu werden – oder andere Leute zu
langweilen. Jedoch möchte ich auch aufklären, selbstverständlich
ohne erhobenen Zeigefinger. Mir ist es auch wichtig Phänomene aus
dem modernen Leben abzubilden, Digitalisierung, moderne
Lebensentwürfe, urbanes Leben.
Mit „Liebe/r Kim“ erscheint im
September ein Briefroman, der sich mit einer Krebserkrankung im
Jugendalter auseinandersetzt. Wie ist es, über so persönliches zu
schreiben, und wo würdest Du dabei eine Grenze ziehen?
Das war so: 1992 erkrankte ich an
Krebs, ein halbes Jahr verbrachte ich, mit Unterbrechungen, in der
Freiburger Kinderklinik auf der Krebsstation „von Pfaundler“. So
eine schwere Erkrankung und vor allem die Erfahrungen, die man in so
einer Klinik macht, lassen sich nicht so einfach verarbeiten.
Regelmäßige Nachuntersuchungen, eigenes Abtasten der Lymphknoten,
nachts wachliegen, Angst haben, dass man erneut erkrankt ... Und dann
1994 plötzlich ein ganz schlimmer Alptraum und der Entschluss, etwas
zu tun, um die Geschichte abzuschließen. Ja, ein Buch wollte ich
darüber schreiben. Ich begann also 1994 damit, musste aber immer
wieder aufhören, weil es noch zu nah an mir dran war. Alle Jahre
wieder probierte ich weiter daran zu schreiben – und brach immer
wieder ab. Im Sommer 2011 nahm ich mir dann vor, das Buch zu beenden,
um es zum zwanzigsten Jubiläum zu veröffentlichen. Ich baute eine
Rahmenhandlung ein, um noch mehr Distanz zu meiner Geschichte
aufzubauen, es weniger „nah“ zu machen. Das funktionierte für
mich ganz gut. Man darf es nicht ganz 1:1 lesen, sicherlich habe ich
das eine oder andere verfälscht, damit es besser in die Geschichte
passt. Aber grundsätzlich ist es, abgesehen von der Rahmenhandlung,
sehr biografisch.
Es ist grundsätzlich schwieriger, über
so etwas Persönliches zu schreiben, denn man braucht einen
professionellen Abstand zu seinem Thema, übernimmt die Aufgabe des
Autoren, nicht des alltäglichen Erzählers. Solche persönlichen
Erlebnisse haben, wenn man eine „fiktive“ Geschichte draus macht,
eine andere Wahrheit als die, wenn es eine Geschichte wäre, die ich
Freund/innen erzähle. Ich muss der Geschichte dienen, nicht meiner
erlebten Wahrheit. Und da sind dann auch Grenzen. Ich versuche
niemanden zu verunglimpfen, wenn es so persönliche Geschichten sind,
niemanden zu verletzen. Das ist natürlich nicht immer ganz einfach
und nicht immer möglich.
Gibt es Autoren oder Bücher, die Du
sehr bewunderst?
Ich erstaune Menschen immer, wenn ich
erzähle, dass Philip K. Dick mein Lieblingsschriftsteller sei. Das
erwarten sie eher von Autor/innen, die Science Fiction schreiben.
Wobei ich mit „Berlin Utopia“ ja etwas in diese Richtung gegangen
bin, ich bin da durchaus flexibel – und man kann da noch mehr von
mir erwarten. Ich mag an ihm diese ungewöhnlichen Szenarien und
Ideen, die er entwickelte, die selbst in der heutigen Zeit, in der
viele technische Entwicklungen diese Vorstellungen möglich machen,
noch immer aktuell sind. Ich mag vor allem, dass er die Themen
Glauben und Religion, aber auch den Amerikanischen Traum oder
Drogenmissbrauch so spannend in seine Geschichten einbettet.
Natürlich könnte ich Dutzende
Autor/innen und Bücher nennen, die ich bewundere, die mich sehr
inspirierten, die mich glücklich machten – oder auch tief
beeindruckten und verstörten. Imre Kertesz’ „Roman eines
Schicksallosen“, „Was ich liebte“ von Siri Hustvedt oder „Das
große Heft“ von Agota Kristof gehören dazu. Und dann etwas ganz
anderes: „Zwei an einem Tag“ von David Nicholls hat mir so viel
Freude bereitet – und war auch etwas Vorbild für Großstadtgefühle.
Das hat aber bisher noch niemand erkannt.
Beeinflussen Dich Filme oder Musik
beim Schreiben?
Tatsächlich beeinflussen mich Filme
und Musik sehr, das hast Du richtig erkannt, Jana. Einerseits hat das
ja damit zu tun, dass ich moderne Phänomene in mein Schreiben
einbeziehen möchte – das kann man durch Musik und Musikstile ganz
einfach. Menschen, die sich damit auskennen, wissen dann: ach, alles
klar, das ist die und die Szene und dies meint das und das meint
dies. Ich höre ganz viel Musik beim Schreiben, da ist es nicht ganz
verwunderlich, dass diese dann den Weg in die Texte findet. Filme
schaue ich sehr gerne, Serien noch sehr viel lieber. Das Ding ist,
dass ich an das „Samplen“ glaube, dass Kunst immer noch
spannender wird, wenn man etwas damit macht, sie weiter verwertet,
deswegen arbeite ich gerne mit Versatzstücken aus Filmen, Serien,
Musik in meinen Texten.
Was hat Berlin an sich, dass es
immer wieder inspiriert?
Nun, bei „Plattenbaugefühle“ war
es eben der Kontrast zur Darmstadt-Kranichsteiner Provinz, Frankfurt
war nicht weit genug weg, Hamburg kenne ich zu wenig. Ursprünglich
war die Idee der Fortsetzungen von „Plattenbaugefühle“ eine
andere, der zweite Teil sollte in Frankfurt spielen und den
Sozialarbeiter „Aris“ als Hauptperson haben. Ich entschied mich
dann aber, Jonas weiter in seinem Leben zu begleiten – und der
musste nach Berlin zurück, das ging nicht anders. Bei „Berlin
Utopia“ war es mehr eine Eingebung. Ich stand an einem Silvester
vor Jahren auf dieser Admiralsbrücke und plötzlich wurde ich von
etwas viel zu hell angestrahlt. Als ich dann von meiner Kollegin
Hilke-Gesa Bußmann angefragt wurde, ob ich nicht eine Spin-Off für
ihre „Weltentaucher“ schreiben möchte, fiel mir dieses Erlebnis
wieder ein.
Berlin ist eine faszinierende Stadt, in
die man viele Träume, Fantasien, Vorstellungen projizieren kann. Das
macht sie aus, dafür ist sie da. Und nicht nur für mich, sondern
für viele in Deutschland, die nach ihrer Schulausbildung oder nach
dem Studium dorthin ziehen und ihr Glück suchen. Berlin trägt
allerdings auch viel Potenzial des Scheiterns in sich, das macht
diese Stadt so spannend. Sie ist auf der anderen Seite der einzige
Meltingpot der Kulturen in Deutschland, natürlich neben Frankfurt,
die unterschätzte amerikanischste Stadt Deutschlands.
Du bist auch Herausgeber von zwei
Anthologien. Was reizt Dich daran, Texte dafür auszuwählen und was
nervt auch an diesen Projekten?
Im nächsten Jahr kommen zwei weitere
Anthologien von mir heraus, die dritte queere Anthologie und – wer
hätte es gedacht – eine Frankfurt-Anthologie. Meine Ungeduld nervt
immer, das vielleicht vorweg – ich möchte alle Texte möglichst
schnell sammeln. Was mich reizt? Ach, ich glaube, es sind viele
Dinge. Zunächst einmal gibt es ein Konzept, das ich mir ausdenke.
Ich erwarte daraufhin bestimmte Texte, kriege aber ganz andere. Das
heißt, ich werde immer total überrascht und das ist wie
Weihnachten. Nein, besser als Weihnachten. Bevor ich anfange, kann
ich also keine Idee haben, wohin der Weg führt, wie die
Anthologie
am Ende aussehen wird. Das ist ganz toll! Dann macht es natürlich
sehr viel Spaß mit ganz unterschiedlichen Autor/innen zu arbeiten,
die so ganz andere Auffassungen vom Schreiben haben als ich, wie ich
immer merke, und die ganz anders an Themen herangehen.
Ist das Schreiben für Dich Hobby,
Beruf oder Berufung?
Dies sollte die einfachste Frage sein,
oder? Nein, ein Hobby ist es keineswegs für mich, das wäre eine
Geringschätzung. Für einen Beruf macht es zu viel Spaß und
Berufung hört sich zu hochtrabend an. Hihi. Wie komme ich da jetzt
wieder raus? Also, ich sehe mich und das, was ich mache, als
Gesamtkunstwerk an. Das Schreiben ist ein Teil davon, genauso wie das
Bloggen, der Kulturaktivismus, meine Jurytätigkeiten, meine
Lesebühnen und alles andere, was ich so tue.
Wird es einen dritten Teil der
Platten- und Großstadtgefühle geben? Verrätst Du etwas darüber?
Natürlich wird es einen dritten Teil
davon geben! Ich schreibe gerade daran. Mir macht Jonas so viel Spaß,
dass ich gerne noch Teil 3-7 schreiben möchte, mindestens. Und noch
ein paar Spin-Offs. „Großstadtgefühle“ spielte ja in Berlin und
München. Ich kann verraten, dass Teil 3 hauptsächlich in Berlin
spielt, Jonas wird zwar das erste Mal wieder nach
Darmstadt-Kranichstein zurückkehren, wo seine Eltern noch immer
wohnen, ansonsten lernt er in Berlin ein neues Milieu kennen, das
allerdings eher unfreiwillig. Sein bester Freund Fabian verschwindet
nämlich plötzlich – und dann begibt er sich mit seinem Freund
Paul zusammen auf die Suche nach ihm. Es gibt viele Verwicklungen,
viele spannende Momente. Während „Plattenbaugefühle“ ein
„Milieu“- und „Großstadtgefühle“ ein „Liebes“-Roman
war, wird „Jonas 3“ mehr ein Krimi- oder Detektivroman. Das ist
meine kleine Spielerei bei jedem einzelnen Teil, immer einen anderen
Ansatz zu finden, denn der Ton und die Figuren bleiben ja
größtenteils.