In schöner Tradition habe ich auch den Beteiligten der Anthologie "Ayumi und die Prinzessin der Meere" allen die selben Fragen gestellt. Hier ist der 1. Teil der Antworten, die Fragen lauten:
1.
Was bedeuten Dir Märchen/was verbindest Du mit ihnen und welches ist
Dein Lieblingsmärchen?
2.
Was hat Dich zu Deinem Märchen inspiriert und welche Idee/Aussage
verfolgst Du damit?
Katherina
Ushachov * Die Gefallenen
1)
Ich bin mit Märchen aufgewachsen – sie wurden mir regelmäßig
vorgelesen und eins der wenigen Relikte, die ich noch von meiner
verstorbenen Oma besitze, ist eine selbst aufgenommene Kassette, wo
sie mir Märchen vorliest und ich immer mal dazwischenspreche. Die
Kassette hat sie damals aufgesprochen, kurz bevor wir nach
Deutschland ausgewandert sind, damit ich wenigstens diese Erinnerung
habe.
Später
wanderte sie mit aus und ist in Deutschland verstorben, aber die
Kassette habe ich immer noch (auch wenn ich sie nicht abspielen
kann).
Seit
2016 bin ich Teil der Gemeinschaft "Märchenspinnerei", wir
veröffentlichen regelmäßig Märchen in neuem Gewand, um zu zeigen,
dass die Märchen von damals zeitlos aktuelle Thematiken in sich
tragen, die auch den (erwachsenen) Menschen von heute viel aussagen
und mitgeben können. Mich nach der Kindheit wieder mit Märchen zu
beschäftigen, gab mir einen vermissten Teil meiner Identität
zurück, von dem ich zuerst gar nicht merkte, dass der fehlt.
Mein
Lieblingsmärchen ist "Die tote Zarewna", das ich mit dem
Roman "Der tote Prinz" adaptiert habe.
2)
"Die kleine Meerjungfrau" war immer schon ein queeres
Märchen. Der Autor verarbeitete darin seine eigenen Erfahrungen, in
der zerreißenden Diskrepanz aus seinem eigenen Glauben, seiner
dadurch internalisierten Homomisia und seinen Wünschen nach Liebe
und Geborgenheit. Nicht umsonst wird heute auch von vielen trans
Personen das Märchen als Parabel auf den Wunsch der Transition
gelesen.
Für
mich fühlte es sich nicht zuletzt darum auch so natürlich an, die
Geschichte in eine nicht näher bestimmte Jetzt-Zeit zu tragen und
mit heutigen Problematiken (Kapitalismus, Klimawandel) zu verbinden,
gleichzeitig vieles dennoch unbestimmt und unausgesprochen zu lassen,
um Raum für eigene Interpretationen zu bieten.
Katherina
Ushachov ist freie
Lektorin und Autorin (u.a. Stahllilie
und der mechanische Löwe
(Littera Magia), August 2019 )
https://feuerblut.com
https://www.facebook.com/katherina.ushachov.autorin
https://twitter.com/evanesca
Mo
Kast * O Hexenkind, mein
Hexenkind
1)
Was bedeuten Dir Märchen/was verbindest Du mit ihnen und welches ist
Dein Lieblingsmärchen?
Ich
bin mit Märchen groß geworden und ich hatte auch eine Ausgabe von
den Grimm
Märchen, die nicht geschönt wie Disney waren. Ich war fasziniert,
wie unterschiedlich und manchmal auch grausam Märchen sein konnten,
und wie viel man aus ihnen auch in unsere heutige Zeit mitnehmen
konnte. Ein Lieblingsmärchen habe ich allerdings nicht, aber "Die
Boten des Todes" fand ich recht cool.
2)
Was hat Dich zu Deinem Märchen inspiriert und welche Idee/Aussage
erfolgst Du damit?
Da ich sehr visuell geprägt bin, hatte bei dem
Thema "lesbisches Märchen" sofort ein Bild vor Augen mit
einem Mädchen, das nachtschwarze Haare hat, und einem, das strahlend
hell wie ein Stern war. Dann kam mir der Gedanke, was wäre, wenn
sich ein Mädchen in einen Stern verliebt? Und warum verliebt sie
sich in den Stern? Vielleicht weil sie sich fremd in der Welt fühlt,
nicht angenommen von anderen Menschen. Möchte man es modern
ausdrücken, geht es um Mobbing – auch darum, wie aus einem
Mobbingopfer selbst ein Mobber werden kann – und dass Akzeptanz und
Liebe der einzige Weg aus solchen Mechanismen ist.
Mo
Kast ist Designerin
und Illustratorin und erfolgreich mit ihren selbstverlegten Büchern,
die sie auch illustriert.
www.mokast.de
Jan
Jürgenson * Das Herz einer Löwin
1)
Märchen begleiten uns schon in Kindertagen. Sie unterhalten uns,
inspirieren uns, ziehen uns in ihren Bann und bringen uns nebenbei
auch noch etwas bei. Die Moral von der Geschichte eben. Toll ist es
auch dass alte Märchen nicht aus der Mode kommen und dass ständig
neue hinzukommen wie mit dieser Anthologie z.B. Man weiß ja nie, ob
sie vielleicht mal ein Klassiker wird ;-) In der Welt der Märchen
ist vieles oft einfacher als im wahren Leben, und am Ende gibt es
meistens ein Happy-end – zumindest für die Guten darin. Wäre es
im wahren Leben doch auch so einfach ;-)
Mein
Lieblingsmärchen? Oh, das ist schwer, weil es so viele toll gibt.
Zählen auch Märchenfilme dazu? Dornröschen könnte ich an dieser
Stelle nennen. Aladin und die Wunderlampe, Die Schöne und das Biest
aber auch Das hässliche Entlein. Wie letzteres habe ich mich schon
oft gefühlt, was also zeigt, dass Märchen nicht nur für kleine
Kinder sind, sondern auch für große Kinder. Zudem inspirieren mich
Märchen, um daraus neue Geschichten zu machen, weil ihre Botschaften
einfach zeitlos und universell sind, und damit wären wir schon bei
der anderen Frage.
2)
Zuerst dachte ich, ich könnte überhaupt kein Märchen für und über
Frauen schreiben. Dann war da aber eine Idee, und ich habe mich ein
bisschen schlau gemacht, recherchiert, um dieser Idee auch gerechnet
werden zu können – wenn ich schon über das Volk der Amazonen
schreibe, und Sappho von Lesbos passte auch ganz gut dazu. Alles
stolze und mutige Frauen und das in einer Zeit, wo man von
Gleichberechtigung noch weit entfernt war, würde ich mal behaupten.
Aber solche Frauen gab es sicherlich schon immer, nicht erst in der
heutigen Zeit. Ich habe mir dafür ein Mädchen stellvertretend
rausgepickt, um zu zeigen, welchen Weg man gehen kann oder vielleicht
auch muss, um der Mensch zu werden, der man ist oder zumindest gerne
sein würde. Das ist nicht immer leicht, und oft werden einem Steine
in den Weg gelegt, man zweifelt selbst an sich oder hört auf die
Stimmen der anderen. Es ist aber immer die eigene Entscheidung,
was man aus seinem Leben macht. Meine Hauptfigur Apollina verändert
sich meiner Meinung nach im Laufe der Geschichte nicht, auch wenn sie
hier und da aneckt. Sie bleibt sich immer treu, auch wenn das
mitunter Tränen kostet. Am Ende findet sie aber ihren Platz auf der
Welt, wo sie hingehört und so sein kann, wie sie ist. Das wünsche
ich eigentlich jedem Menschen. So angenommen zu werden, wie man ist
und nicht so, wie anderen einen gerne hätten. Es ist nicht immer
einfach anders zu sein, aber wenn wir alle gleich wären, wäre es
auch langweilig, oder? Zudem gibt es wohl auf der Welt keine zwei
gleichen Menschen. Irgendwie ist man doch immer etwas anders, mal
mehr mal weniger, äußerlich und oder innerlich. Und die Steine auf
unserem Lebensweg können mitunter auch riesig sein, zumindest aber
uns so vorkommen. Im Fall meiner Geschichte sind es sogar ein paar
der alten Götter, aber auch die sind nicht immer und alle böse. Am
Ende findet Apollina zudem mehr, als sich sicherlich am Anfang der
Geschichte erhofft hat oder erhoffen konnte.
Jans
erstes eigenes Buch erscheint voraussichtlich dieses Jahr. Er ist zu
finden unter: https://www.facebook.com/jan.juergenson.7543
oder unter buch.boy bei Instagram
Saskia
Rönspies * Von einer
unerwünschten Liebe
1)
Schon als kleines Mädchen habe ich Märchen geliebt. Ich besaß ein
großes Märchenbuch mit schönen Zeichnungen, aus dem mir meine
Eltern vorgelesen haben, bevor ich selbst lesen konnte. Es waren
Märchen der Brüder Grimm. Ein Buch, das ich sogar heute noch
besitze und in welches ich noch immer gern hineinschaue.
Erst
als ich älter wurde, las ich auch Märchen von Hans Christian
Andersen, die mir ebenfalls sehr gut gefielen, obwohl oder vielleicht
weil sie zum Teil viel trauriger und nachdenklicher waren als die der
Brüder Grimm. Besonders gerne mag ich bis heute Märchen, in denen
eine starke Frau ihr Schicksal selbst zu bestimmen versucht. Mit
Schneewittchen und Rapunzel, die passiv auf ihren Prinzen warten,
konnte ich schon als Kind wenig anfangen. Die kleine Meerjungfrau
oder die kluge Bauerntochter waren schon eher nach meinem Geschmack.
Frauen, die wissen, was sie wollen und dafür einstehen. Ein
Figurentypus, der mir auch heute in meinem bevorzugten Lese- und
Filmgenre Fantasy besonders gut gefällt. Und einer, den ich in
meiner eigenen Fantasy-Trilogie selbst zum Leben erweckt habe.
Weitere starke Frauen warten in meiner digitalen Schublade ebenfalls
darauf, ihre Welten besser machen zu dürfen. Ich bin mir sicher,
dass es Märchen waren, die mir den Weg dorthin gezeigt haben. Die
mir eine Welt jenseits meines Alltags eröffnet haben, in die ich nur
zu gerne verschwunden bin, wann immer sich die Gelegenheit bot.
Ein
ganz besonderes Märchen war für mich immer Brüderchen und
Schwesterchen von den Brüdern Grimm. Die Liebe von Schwesterchen
zu ihrer Familie, insbesondere zu ihrem Bruder, ihre Treue und ihre
Stärke über den Tod hinaus haben mich immer zutiefst beeindruckt.
Vielleicht weil auch ich einen kleinen Bruder habe, der mir sehr viel
bedeutet und zu dem ich – nach einer ungewollten und traurigen
Phase der Entfremdung – nach meinem kürzlichen Coming Out langsam
wieder ein innigeres Verhältnis aufbaue. Und weil auch ich alles tun
würde für die wenigen Menschen, die ich wirklich liebe.
Als
ich schon längst erwachsen war, machte mir das Fernsehen die große
Freude und verfilmte in der Reihe 6 auf einen Streich diverse
Märchen. Fortan saß ich an den Weihnachtsfeiertagen stets vor dem
Fernseher und erfreute mich daran, meine alten Bekannten in behutsam
modernisierten Settings erleben zu dürfen. Natürlich steht
Brüderchen und Schwesterchen als DVD in meinem Regal und muss
keine Angst vor dem Einstauben haben, denn wie viele andere Märchen
inspiriert es mich noch heute zu neuen Geschichten, die ich auf
Papier banne, um sie mit anderen Menschen teilen zu können.
2)
Schon immer war mein Leben bestimmt von tiefgreifenden Wendungen und
umstürzenden Überraschungen. Eine davon war, dass ich mich nach 11
Jahren Ehe mit einem Mann in meine beste Freundin verliebt habe. Erst
waren wir tatsächlich nur Freundinnen, haben uns aber nach und nach
immer weiter angenähert. Und wie das Leben so spielt, wurde daraus
schlussendlich eine wunderbare Beziehung. Da ich unheimlich schnell
einschlafen kann – und es mir auch regelmäßig passiert, dass ich
einschlafe, wenn ich es mir gemütlich mache -, verpasste mir meine
Freundin irgendwann den Spitznamen Dornröschen.
Als
ich die Ausschreibung für die Märchen-Anthologie entdeckte, kam es
mir aus diesem Grund sofort in den Sinn, eine Adaption von
Dornröschen zu schreiben. Eine, in der Dornröschen nicht von
einem Prinzen, sondern von einer Prinzessin wachgeküsst wird. Etwas,
was im Grunde auch meine Freundin mit mir getan hatte. Jahrelang
hatte ich in der unerfüllten Ehe mit einem Mann, den ich zwar bis
heute sehr mag, aber körperlich nie begehrte, vor mich hingedämmert,
ehe sie kam, mich erweckte und mir zeigte, wer ich wirklich bin.
Daher inspirierte meine Freundin mich nicht nur zu dem Märchen an
sich, sondern auch zur Figur Juliana.
Allerdings
wollte ich nicht, dass es eine bloße Liebesgeschichte zwischen zwei
Frauen wird. Im Zusammenhang mit meinem Coming-Out beschäftigte ich
mich ausgiebig mit lesbischer Literatur, Filmen und queeren Themen.
Da mein Bruder schwul ist, hatte ich schon immer ein offenes Auge
dafür gehabt, aber nun intensivierte ich mein Interesse. Mit
Erschrecken stellte ich fest, wie viel Homophobie noch immer überall
auf der Welt existiert. Dagegen wollte ich mit meinem Märchen ein
Zeichen setzen. Daher schuf ich mit Julianas Königreich eine
Gesellschaft, in der jede Lebensweise toleriert und für normal
erachtet wird. Als Gegenpart setze ich die fremde Königin, die alle
von heteronormativen Vorstellungen abweichenden Formen von Liebe
ablehnt. Gegen diese muss die Heldin nicht nur bestehen, um ihre
Liebste zu befreien, sondern auch, um eine Welt zu retten, in der
alle Lebensweisen willkommen sind. Eine Welt, wie wir alle sie uns
wünschen und für die es sich zu kämpfen lohnt.
Saskia
Rönspies veröffentlichte 2017 und 2019 die ersten beiden Bände
ihrer Fantasy-Trilogie Die
Melodie des Lichts um
eine junge Kriegerin in einer patriarchalischen Welt als
Selfpublisherin bei BoD.
www.facebook.com/Die-Melodie-des-Lichts-811278849057212
www.instagram.com/autorin_saskia_roenspies/
Anja
Lehradt * Der Drache mit den Sternenaugen
1)
Ich
verbinde mit Märchen vor allem meine Kindheit. Meine Oma hatte ein
großes Märchenbuch mit Märchen aus Tadschikistan. Daraus hat sie
mir immer vorgelesen. Ich habe es geliebt. Sobald ich lesen konnte,
haben meine Eltern mir ein dickes Märchenbuch gekauft und ich konnte
eintauchen in die Welt der Wunder, Zauberer, Hexen,
sprechenden Bäumen und Töpfen. Ich bin überzeugt, dass hier
der Grundstein für meine Liebe zur fantastischen Literatur gelegt
wurde. Ich habe kein spezielles Lieblingsmärchen.
2)
Ich wollte unbedingt ein Märchen schreiben, in dem ein Drache
vorkommt. Der Rest ergab sich dann bei einem Spaziergang.
Anja
Lehradts erste Veröffentlichung war Dark
Road,
der erste Band aus dem Otheiá-Zyklus, den sie 2020 noch einmal
überarbeitet und erneut veröffentlicht hat. Unter dem Pseudonym
Claire Ashburne veröffentlichte sie A
Cup of Tea, please.
Derzeit arbeitet sie am zweiten Band aus dem Otheiá-Zyklus,
übersetzt den ersten in die englische Sprache und arbeitet parallel
an einer zweiten Geschichte für Claire Ashburne.
Nadine
Engel
* Das
Lied der Sirene
1)
Ich liebe Märchen, daher war mir auch sofort klar, als ich die
Ausschreibung sah: „Ich muss da mitmachen“.
Ich
verbinde mit Märchen Erinnerungen an meine Kindheit. Die Sprache,
Reime, Sprüche, das habe ich immer schon geliebt. Was mich heute
fasziniert, ist die Tatsache, dass man Märchen sowohl als Kind mit
Spannung lauscht, doch als Erwachsener oft noch ganz andere Dinge in
der Geschichte erkennt. Also Unterhaltung für Jung und Alt
gleichermaßen mit einer Moral. Vermutlich ist genau deswegen mein
Lieblingsmärchen „Das hässliche Entlein“. Egal was andere
sagen, ob man missverstanden und verstoßen wird, man muss seinen
eigenen Weg gehen. Wer sich selbst erkennt, kann strahlen.
2)
Mir war klar, ich will und muss eine Geschichte einreichen. Ideen
hatte ich gleich mehrere, doch welche sollte ich verfolgen? Dank
eines Hinweises einer lieben Autorenfreundin fokussierte ich mich auf
das Element Wasser. Und ich freue mich riesig, dass wir beide nun in
dieser Anthologie vertreten sind.
Ich finde es grandios, dass
diese Sammlung die Möglichkeit bietet, mit typischen Klischees zu
brechen. Starke Frauen gab es schon immer in Märchen, hier haben sie
nun ihre eigene Plattform und können sich völlig frei entfalten.
Wer uneigennützig handelt, wird belohnt. Ein reines Herz kann mehr
erreichen, als Krieger in Rüstungen. Genau das wollte ich einfangen
und verpackte dies in ein Märchen über eine verfluchte Sirene.
Nadine
Engel veröffentlichte bisher: Erinnerungen
| Grey Gull Puplications Anthologie: Winterkälte und
Weihnachtsgrauen, November 2020 sowie: Die
Muse Musica | net-Verlag Maria Weise Anthologie: Lebendige Noten,
Dezember 2020, und ist auf Instagram unter nadine_h_engel zu finden.
Wer jetzt neugierig geworden ist, findet die Anthologie als eBook und Taschenbuch bei Amazon!