Donnerstag, 29. Juni 2017

Autoreninterviews "Sein schönster Sommer" - Teil 2

Hier der zweite und letzte Teil der Interviews mit den Beteiligten der Anthologie "Sein schönster Sommer"! Noch einmal die Fragen für alle:

1. Was verbindest Du persönlich mit dem Sommer und was davon hat in Deine Geschichte Eingang gefunden?

2. Wie entstand die Idee zu Deiner Geschichte und welche Schwierigkeiten ergaben sich (vielleicht) in der Umsetzung?

Lena M. Brand - Wenn er tanzen will
Frage 1
Mit dem Sommer verbinde ich Leichtigkeit, Wärme, Freiheit, Sorglosigkeit und eine Riesenportion Glück und Endorphine. Ein schöner Sommer beinhaltet für mich warme lange Sommernächte, heftige Sommergewitter, flirrendes Leben, abenteuerliche Urlaubsreisen etc. Dies alles hat im Großen und Ganzen in meiner Geschichte seinen Platz gefunden.

Frage 2
Als ich die Anthologie-Ausschreibung las, hatte ich sofort meine Sommer als Jugendliche in den 90ern im Kopf. Pre-Handy, Pre-Internet. Diese Zeit ist eigentlich gar nicht so weit weg und doch unvorstellbar heute. Ich bin am Land aufgewachsen, manchmal haben wir uns nächtelang als Clique draußen herumgetrieben, z.B. bei schlechten Konzerten, auf Bauernhöfen oder zelten an Bergseen. Verlieben und Kontakt halten war dank mangelnder Technik damals gar nicht immer einfach. Auch meine beiden Protagonisten müssen das in der Geschichte durchstehen. Der Sommer 1996 war einer meiner schönsten Sommer - deswegen habe ich dann diesen gewählt. Die erwähnte Interrailreise in der Geschichte war ein besonderes Highlight für mich.
Meine Schwierigkeit war wohl die ‚Leichtigkeit‘ der Geschichte. Ich habe schon beim Schreiben gemerkt, dass kaum Tiefe im Text ist, was ja meist bei einer KG so ein kleines Kriterium ist – andererseits ist genau diese Leichte ja auch meine Interpretation von Sommer, deswegen habe ich die Geschichte letztendlich so gelassen.

Carmilla DeWinter - Treffpunkt Siegessäule
Frage 1
Sommer ist, wenn ich meine (Schreib-)Arbeit nach draußen tragen kann, wenn die Tage lang und hell sind, und ich nicht friere (ich friere sehr schnell). Meine optimale Betriebstemperatur liegt zwischen 25 und 35 Grad Celsius, wo andere schon wieder vor niedrigem Blutdruck nicht klar denken können.
Außerdem ist bedingt durch meinen Aktivismus und meine Tanztruppe natürlich CSD- und Mittelaltermarktsaison. Da ich mich bezüglich der Christopher Street Days mit der schwulen Szene überlappe, lag es nahe, meinen letztjährigen Aufenthalt in Berlin für eine schwule Sommeranthologie zu nutzen. Es finden sich einige echte Begebenheiten und Menschen inklusive meiner Fußgruppe in dem Text wieder.

Frage 2
Wie gesagt: Christopher Street Days als verbindendes Element waren recht schnell ausgemacht. Kostümierte Engelchen und Teufelchen laufen bei solchen Veranstaltungen recht häufig herum, und ich hatte kurz vorher eine Story mit einem Inkubus gelesen. So einer hätte logischerweise bei einem CSD ein Festmahl vor sich. Also musste ich nur noch über Amoretti als Gegengewicht nachforschen.
Schwierigkeiten gab es zweierlei. Erstens bin ich aus Süddeutschland. Hier unten sagt beispielsweise keine*r mehr "pflanz dich", wenn's ums Hinsetzen geht. Glücklicherweise lebt meine werte Betaleserin in Moabit (im vierten Stock eines Altbaus ohne Aufzug ...), das heißt, ich habe durch unsere Bekanntschaft ausreichend Gelegenheit, Berlinerisch zu hören, und sie hätte mir auch hoffentlich gesagt, wenn eine Formulierung gar nicht gepasst hätte. Außerdem habe ich noch ein wenig über Google Street View gebrütet, ob ich mich richtig an die Umgebung der Siegessäule erinnere, inklusive des Mäuerchens, das den Tiergarten umfriedet.
Zweitens wusste ich, sobald ich das Wort "Kokos" geschrieben hatte, dass ich das lesbare Gegenstück eines Raffaellos produzieren würde. Es ist nicht einfach, leichtfüßig bzw. süß zu bleiben und dabei nicht langweilig zu werden. Ich hoffe, es ist durch die Anwendung von Ishs (und meinem) Humor gelungen. Sozusagen als Nussstück zum dran Knabbern im Inneren der besagten Praline.

Kai Brodersen - Sein schönster Sommer
Frage 1
Sommer, das ist dieses seltsame Gefühl auf der Haut nach einem langen, heißen Tag. Das Gefühl, das auch nach duschen, salben und ölen nicht weggeht und einen in den Schlaf begleitet. Sommer ist Glühen, Reifen, Überfluss, ist Durst und Stillung.

Frage2
Literatur funktioniert nicht ohne Preisgabe, und insofern ist alles ernsthafte Schreiben in der einen oder anderen Weise autobiographisch.
Beim „schönsten Sommer“ stimmt das buchstäblich, zumindest im Kern: Die Geschichte stand mir mehr oder minder komplett vor Augen, nachdem ich knapp vierzehn Tage auf unserer Station für Chemotherapien ausgeholfen hatte. Danach war eigentlich nur noch das Ringen mit der Form nötig, der Kampf um Formulierungen, den richtigen Ton, Charakterzüge, Verhaltensweisen – und natürlich ein wenig Recherche.
Schwierig war für mich, eine Liebesgeschichte zu schreiben, ohne ins Süßliche abzudriften, von einem Sterben zu erzählen, ohne zu nahe am Wasser zu bauen.

Elisa Schwarz - Sommer am See
Frage 1
Sommer ist für mich eher ein wunderbares Gefühl, anstatt einer Jahreszeit. Denn im Sommer tummeln sich eine Vielzahl an Gefühlen an sämtlichen Schauplätzen der Welt. Im Wald, am See, in den Bergen, in der Stadt ... Alles darf sich draußen abspielen, während in den eigenen vier Wänden die Zeit stillzustehen scheint. Sommer ist für mich, wenn: die Haut von Sonnenstrahlen verwöhnt wird und die Sonnenbrille die Augen abschirmen muss, bevor die Helligkeit einem die Tränen in die Augen treibt, das kühle Nass eines Badesees für einen klaren Kopf sorgt und man sich frei und unbeschwert auf einer Luftmatratze treiben lassen kann, wenn man mit Freunde ausgelassen feiert und Blicke ausgetauscht werden, die zu etwas Besonderem heranwachsen können, Singstimmen der Vögel im Hintergrund und Bienensummen in der Luft ... All das zusammengefasst findet in meiner Kurzgeschichte „Sommer am See“ Platz. Viele Sommer habe ich genau so erlebt: Am See, mit meiner Clique, von morgens bis abends vor sich hindösen, Spaß haben, sich verlieben, Probleme wälzen, die trotzdem nicht erdrückten. Jan, mein Ich-Protagonist, durfte all dies für mich Revue passieren lassen, was ich in meiner Jugend erlebt habe. Denn im Vordergrund steht sein Gefühl - neben diesem, all die kleinen wunderbaren und nicht ganz so schönen Dinge, die einen im Leben begleiten können. Nicht immer herrscht eitel Sonnenschein bei 35 Grad im Schatten. Und doch kann man dafür kämpfen, Negatives keinen Raum zu geben, sich zu entfalten.

Frage 2
Die Geschichte rund um Jan und Levin war in meinem Kopf, kaum, dass ich die Ausschreibung gelesen hatte. Etwas sommerliches war gefordert, Gefühle sollten einen Stellenwert einnehmen, queer sollte es sein. Zu einem Sommer gehört für mich Gewässer: Meer, See, Schwimmbad - sogar ein Platzregen und Gewitter dürfen nicht fehlen. Themen anzukratzen, die die Leichtigkeit überschatten, sie aber nicht auswachsen zu lassen, um die Geschichte zu bedrückend erscheinen zu lassen, war die einzige Schwierigkeit, die sich mir gegenüberstellte. Ich wollte und konnte Homophobie, Mobbing, Trennungsschmerz nicht in den Vordergrund stellen. Nicht bei Jan, der für mich einfach eine wunderbare, neue Liebe verdient hatte. Ich hoffe, es ist mir geglückt.

Alles Liebe, Elisa


J. Walther - Der Garten
Frage 1
Gekreische im Freibad, dieser warme Brise am Baggersee, auf dem ich als Kind gesegelt bin, blauer Himmel mit Schönwetterwolken über grünen Hügeln, reifes Korn, die Hitze flirrt über dem Feldweg. Laue Abende im Garten mit dem Duft von Holunder. Die Wärme, die einen empfängt, wenn man vor die Haustür tritt, barfuß durchs Gras, blühende Rosen, warmer Regen auf sattem Grün. So viel wie möglich im Freien sein, in der Hängematte dösen, das Leben ist leichter, unbeschwerter … Ich könnte ewig so weitermachen, ich bin wirklich sommerverrückt. Diese Jahreszeit weckt auch viel Kreativität, ein unnachahmliches Wohlfühlen und eine schwer stillbare Sehnsucht in mir.
In die Geschichte eingegangen ist eines meiner Lieblingsmotive, der halbwilde, üppige Garten im Sommer.

Frage 2
Die Grundidee ist schon sehr alt und ruhte in den Tiefen meiner Schreibhefte. Inspiriert hat mich ein verlassener Garten in einem Feld, den man von einer Straße sieht, die zu einem See führt. Es war ein schmaler, spitz zulaufender Garten, mit einem Schuppen in diesem typischen Graugrün und ich fand es faszinierend, wie lange dieser Garten im Feld erkennbar blieb (wohl immer noch ist), obwohl sich niemand mehr darum kümmerte.
Ursprünglich sollte der "Eindringling" ein Junge sein, der vor seiner stark religiösen Familie geflohen ist, aber nun hatte ich eine andere Idee, die mir aktueller schien, während ich gleichzeitig die Handlungszeit deutlich nach hinten verlegte. Die Umsetzung gelang mühelos und alles fügte sich zusammen.
Einige Gedanken habe ich mir gemacht, ob die Anspielungen nicht zu unklar sind oder zu platt. Und ob die Geschichte gut genug ist, schließlich ist sie ja außer Konkurrenz in die Anthologie gekommen. Es war nicht von Anfang an geplant, dass ich etwas beisteuere, aber ich konnte das Buch nicht ohne meine Sommer-Sehnsucht lassen.


Ich danke nochmals allen AutorInnen für ihre Antworten und Ihre engagierte Beteiligung an meinem Herzensprojekt.


1 Kommentar:

  1. oh wie schön
    vielen dank für noch so viel mehr Sommer. vielen Dank für die tollen Eindrücke, scönen Bilder und die "Zusatzgeschichte" von Dima.
    Die Interviews haben mir fast genau so viel Spaß gemacht wie die Anthologie selbst.
    Euch ist etwas ganz tolles gelungen!

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