Zum Abschluss noch der 3 Teil der Märcheninterviews zu Ayumi und die Prinzessin der Meere. Zur Erinnerung noch einmal die beiden Fragen:
1) Was bedeuten Dir Märchen/was verbindest Du mit ihnen und welches ist Dein Lieblingsmärchen?
2) Was hat Dich zu Deinem Märchen inspiriert und welche Idee/Aussage verfolgst Du damit?
Bettina Barkhoven * Das Märchen von den Lichtermädchen und den Stechpalmenrittern
1) Ich mag nicht alle Märchen. Sobald ich das Gefühl habe, dass sie zu pädagogisch sind, mache ich dicht. Das war bei mir schon als Kind so. Aus der Grimm’schen Sammlung mag ich auch viel lieber die unbekannteren Märchen, die ein bisschen verrückt sind, wie „Lumpengesindel“, und ich liebe die Andersen-Märchen, weil sie voller Emotionen und Liebe stecken. Mein Lieblingsmärchen ist „Die kleine Meerjungfrau“ (das Original von Andersen, nicht Arielle!), denn die Motive der tiefen Sehnsucht, der tragischen Selbstaufgabe, der unerfüllbaren Hoffnung und gleichzeitig der Berge versetzenden Liebe, die begleitet mich auch in meinem Schreiben. Dieses Märchen spielt eine zentrale Rolle in meinem Roman, denn die kleine Meerjungrau bietet eine Identifikationsfigur. Ich habe das Märchen dafür wirklich „durchgeackert“. Obwohl ich es schon gut kenne, hoffe ich jedes Mal beim Lesen ein ganz kleines Bisschen, dass es diesmal aber ein Happy End hat.
2) Mein Märchen basiert auf drei Inspirationen. Zum einen orientiert es sich sprachlich und in der Mischung aus Märchen und witzigen „Action-Szenen“ ein wenig an einer Märchen-Sammlung, die ich als Kind sehr geliebt habe: „Das alte Haus“ von Wilhelm Matthießen. Da gibt es eine Großmutter, die eine Märchenbrille besitzt, mit der sie alle Märchen sehen kann, die im Wald passieren. Als Kind fand ich das einleuchtend: Märchen passieren immer, man muss sie nur sehen können. Leider ist besagter Wilhelm Matthießen ein überzeugter Nationalsozialist gewesen, was meine Begeisterung für ihn hat versiegen lassen – der Duktus seiner Märchen hat sich dennoch tief in mein Bewusstsein eingebrannt.
Zum
anderen hat mein Vater mit mir oft Gute-Nacht-Spaziergänge gemacht.
Schon als kleines Kind, im Schlafanzug auf den Armen meines Vaters,
habe ich ständig in das Zweigwerk der Bäume geschaut und die
Blätter bestaunt.
Und dann noch meine Begeisterung für kleine,
schwache, aber schöne Lichter. Ich liebe Glühwürmchen, funkelnde
Sterne und flackernde Teelichte.
Welche Aussage verfolgst Du damit?
Alle
handelnden Personen und deren Namen sind angelehnt an teils
botanische, teils volkstümliche Pflanzennamen. Die Gesellschaft, in
der es stattfindet (der Finsterwald und Umgebung) lebt naturnah und
überwiegend achtsam und pazifistisch. Die einzigen wehrhaften Tiere
im Märchen sind die Dachse, die sich allerdings – wie in der
Realität – nur verteidigen und nicht angreifen. Doch sind auch die
übergriffigen, machohaften „Rüpel“ lernfähig. Mir war wichtig
zu zeigen, dass es kein klares „Gut und Böse“ geben muss, dass
Personen sich auch ändern können, voneinander lernen können, und
dass eine Gesellschaft gewinnt, wenn sie nicht gegeneinander, sondern
miteinander arbeitet.
Auch der Gedanke der Nachhaltigkeit
schwingt mit. Wir müssen auch die unscheinbaren Wesen und die
Diversität unserer Umwelt schützen und erhalten – um ihrer selbst
willen, und nicht, weil es uns Vorteile bringt. Nur dann tun sich
völlig neue Perspektiven und Möglichkeiten auf – so wie in meinem
Märchen.
Bettina Barkhoven hat ihren 1992 begonnenen Roman 2019 nach langer Pause wieder hervorgeholt und vollendet. Unter dem Titel »Der Fuckepott« wird er voraussichtlich im Herbst 2021 beim MAIN-Verlag erscheinen. 2020 erschien eine Kurzgeschichte in einer Anthologie »Tierisch verliebt« der Homo Schmuddel Nudeln. Eine Seite bei Facebook findet sich unter ihrem Namen.
Annina Anderhalden * Der Geschmack nach Zuhause
1) Märchen bedeuten mir, dass ich in eine andere Welt abtauchen kann und einfach mal etwas anderes erleben darf. Zudem verbinden Märchen die Realität auf eine Weise, wie es andere Geschichten nicht machen. So fragt man sich immer ein bisschen, was davon wahr und was nicht ist – und ob es vielleicht wahr sein könnte. Ein Lieblingsmärchen per se habe ich nicht, am liebsten jedoch habe ich „Die kleine Meerjungfrau“ gehabt, jedoch habe ich auch sehr gerne „Spirit“ geschaut (Laut meinem Vater sei dies auch ein Märchen.)
2) Ich habe immer schon Werwolfgeschichten gemocht, vor allem solche, wo der Werwolf zwar sich mit sich selbst zurechtgefunden hatte, jedoch sich von allen abschottete, um niemanden zu verletzen. Ebenfalls finde ich Jägerinnen sehr interessant und wollte deshalb das damit verbinden. Mit meiner Geschichte wollte ich zeigen, dass niemand komplett schwarz und weiß ist und dass Liebe alle Hindernisse überwinden kann.
Annina Anderhalden wurde 1997 in der Schweiz geboren, studierte Medien und Kommunikation und begann eine Ausbildung in Multimedia Production. In ihren Geschichten erkundigt Annina gerne geschichtliche Aspekte, wie auch die persönliche Entwicklung ihrer Charaktere, taucht dabei aber sehr gerne auch in erfundene Welten ein.
Serena C. Evans * Dornenherz
1)
In der Kindheit haben Märchen einem immer das Versprechen auf ein
gutes Ende gegeben. Am Schluss finden sich Prinz und Prinzessin und
alles wird gut. Ich mag es, wenn Märchen immer wieder neu
interpretiert werden und dadurch klassische Motive einer neuen Zeit
angepasst werden. Eine lesbische Disney-Prinzessin wäre toll, aber
solange es das nicht gibt, müssen wir unsere eigenen Märchen
(er)finden.
Als Kind war mein liebstes Märchen bzw. Disneyfilm
ganz klar Mulan. Damals schon hat mich fasziniert, dass sie eben am
Schluss nicht von einem Prinzen gerettet werden muss.
Vielleicht
wird es irgendwann ganz normal sein, dass Kinder neue Märchen hören.
In denen Cinderella die Prinzessin heiratet, Schneewittchen lieber
alleine durch die Welt zieht oder Prinz Charming seinen Traummann
findet.
2)
Als Kind fand ich Schneewittchen und Dornröschen nicht romantisch,
sondern gruselig. Beide sollen einen Prinzen bewundern, heiraten und
ihm dankbar sein, obwohl sie ihn gar nicht kennen. Der Prinz in
Schneewittchen verliebt sich eigentlich in eine Leiche, schon
irgendwie gruselig. Ich wollte aus der bekannten ängstlichen und
lieblichen Prinzessin etwas Neues machen. Eine junge Frau, die es
verdammt schwer hat, aber die ein Ziel vor Augen hat, eines, dass
fernab vom Heiraten und Kinder kriegen liegt. Quasi ein emanzipiertes
Schneewittchen.
Es gibt einfach zu viele Geschichten, die kleinen
Mädchen suggerieren, ihre Lebensaufgabe sei es, sich hübsch zu
machen und auf Rettung zu warten. Wie langweilig. Ich bin eher dafür,
dass sie ihre eigenen Heldinnen werden.
Serena C. Evans arbeitet als Bibliothekarin und ist erfolgreiche Autorin für lesbische und schwule Liebes- und Fantasygeschichten. Sie liebt bunte und ungewöhnliche Charaktere und Ideen. Serena C. Evans hat u.a. Seth & William, Regenbogentränen, Vielleicht sind wir lila und Die Wölfin und ich veröffentlicht.
Kontakt: SerenaEvans@web.de
www.facebook.com/AutorinSerenaCEvans
www.instagram.com/serena_c_evans/
Sarah Natusch * Aquamarin
1. Mit Märchen verbinde ich meine Grundschulzeit, in der wir einige behandelt und auch als Theaterspiel aufgeführt haben. Aber sonst bin ich größtenteils mit Disney-Filmen aufgewachsen, von denen mein liebster „Arielle, die Meerjungfrau“ ist.
2. Wenn ich als Kind im See oder Meer schwimmen war, habe ich immer so getan, als wäre ich selbst eine Meerjungfrau. Ich weiß nicht, ob das der Grund dafür ist, dass mein Märchen von Hans Christian Andersens „Die kleine Meerjungfrau“ inspiriert wurde. Aber als für mich fest stand, dass ich eine Geschichte über Meerjungfrauen schreiben möchte, bin ich bei Andersen gelandet und habe mich gefragt: Wie erging es eigentlich den Geschwistern der kleinen Meerjungfrau? Wie sind sie damit umgegangen, ihre Schwester verloren zu haben, was hat das aus ihnen gemacht? Und so entstand „Aquamarin“. Ich weiß, dass Liebe kein Allheilmittel ist, aber mir war es wichtig zu zeigen, dass sie viel bewirken und am Ende stärker als Hass sein kann.
Sarah
Natusch
ist gelernte Buchhändlerin. Sie hat das Glück in einer Buchhandlung
im Norden Deutschlands arbeiten zu können, wo sie von zwei Dingen
umgeben ist, die sie liebt: Bücher und das Meer.
Bis
jetzt hat sie eine Kurzgeschichte im Bundeslurch Verlag (Traumwächter
in: Einen Rosengarten versprach ich nie, Bonn 2018) veröffentlicht
und mehrere kleine Texte in Anthologien.
Nebenbei
führt sie einen Blog, den man auch auf Facebook und Instagram finden
kann: https://samenature.de/
J. Walther * Die königlichen Geschwister
1) Da sind einmal alte Märchenbücher, z.B. eine schöne Ausgabe der dt. Hausmärchen. In diesem mochte ich besonders die weniger bekannten Märchen, wie „Siebenschön“ oder "Jorinde und Joringel". Ich muss auch sagen, ich liebe altmodisch-romantische Illustrationen und Stiche, wie z.B. von Ludwig Richter.
Dann ganz besonders die alten Märchenfilme, insbesondere die tschechischen, die einen ganz eigenen Zauber und Charme haben. Zum Beispiel wurde die kleine Meerjungfrau sehr effektvoll zwischen böhmischen Felsen zum Leben erweckt. Viele dieser Verfilmungen haben auch so einen gewissen „Hippie-Touch“, den ich sehr mag. Und natürlich wird Aschenbrödels Ritt durch den Winterwald unvergessen bleiben – eine wunderbar selbstbewusste und berittene Frauenfigur, mal ganz abgesehen davon, dass Libuse sehr süß ist.
Mit Märchen verbinde ich Zauber, etwas Geheimnisvolles, andere Welten und viel Raum für Interpretationen. Mich interessieren auch Neuinterpretation, die z.B. nach psychologischen oder gesellschaftlichen Hintergründen fragen. Ebenso spannend finde ich den Vergleich von Märchenmotiven in aller Welt.
Mein Lieblings-Märchen ist ein ganzes Buch – Königin im Leinenkleid – (DDR 1977), ausschließlich Märchen mit starken, aktiven weiblichen Hauptfiguren, alte Märchen aus aller Welt, darunter viele aus dem arabischen und asiatischen Raum. Es hat mich als Kind sehr beeindruckt. Irgendwie seiner Zeit voraus und auch Vorbild für die von mir herausgebrachte Anthologie.
2) Mein Märchen fing ich vor sehr langer Zeit an mit Füller auf Büttenpapier zu schreiben, mindestens 15 Jahre ist das her. Nun ergriff ich endlich die Gelegenheit, es fertig zu schreiben. Neben dem Reiz von Frauen zu Pferd und Bogenschießen ging es mir auch um Klugheit und Offenheit.
Es gibt eine Reihe von Märchen, in denen Männerkleidung tragende Frauen eine Rolle spielen. Da ich auf dieses Thema mittlerweile eine erweiterte Sicht habe, ist die Ausgestaltung nun auch etwas anderes geworden als vor 15 Jahren angedacht.
🌹🐉🐱🍎
Ich hoffe, die kleine Interviewreihe hat euch gefallen und neugierig gemacht sowohl auf die Autor*innen als auch auf unsere wunderschöne Märchen-Sammlung!
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