Samstag, 6. Februar 2021

Interviews mit Autor*innen der Märchenanthologie - Teil 2

Hier der 2. Teil der Antworten von Autor*innen der Anthologie "Ayumi und die Prinzessin der Meere" auf meine Fragen zum Thema Märchen:

1. Was bedeuten Dir Märchen/was verbindest Du mit ihnen und welches ist Dein Lieblingsmärchen?

2. Was hat Dich zu Deinem Märchen inspiriert und welche Idee/Aussage verfolgst Du damit?

 

Kuro Umi * Rosalie & Ayana

1) Mit Märchen verbinde ich alte Geschichten, Mythen, Legenden und Sagen. Wahrheiten, Träume, Hoffnungen und Belehrungen.

Sei ihr Kern auch aus der schlimmsten, traurigen Wahrheit entsprungen, wurden sie mit der Zeit zu Hoffnungsträgern, indem sich die Begebenheiten änderten. Fantastische Wesen und einige schauderhaften Nachtmahre wurden zu besonderen Erzählungen verwoben und das sind sie bis heute. Wundersame, in eine andere Welt oder Zeit entführende Geschichten, die alle Zuhörer, Leser und Zuschauer mit etwas Magie verzaubern.

Welche meine liebsten Märchen sind, kann ich schlecht sagen, waren und sind sie doch alle für sich besonders.

Ganz klar mag ich die bekannten, wie "Das letzte Einhorn", "Die kleine Meerjungfrau" oder "Die Schöne und das Biest", doch ich denk auch oft an "Der Salzprinz" (keine Ahnung ob der so hieß, aber das stand auf unserer Kassette, die leider nicht mehr existiert), "Der Affenkönig" oder "Die sechs wilden Schwäne".


2) Ehrlich ist meine Geschichte etwas seltsam entstanden. Erst wollte ich mich an "Der Salzprinz" orientieren, in der (im Original) ein Prinz dem König sagen muss, wie viel ihm die Prinzessin bedeutet. Er sagte zum König: "Sie ist so kostbar wie Salz" doch der ganze Hof und der König verspotteten ihn und scheuchten ihn weg. Kurz darauf wurde das Königreich verflucht und fortan gab es kein Salz mehr, nur noch Goldstaub ...

Aber diese Richtung schlug ich nach wenigen Worten wieder aus und ich ließ das auf mich zukommen, was Rosalie und Ayana erlebten.

Ich wollte eine Geschichte, die verdeutlichte, das man keine eigenen Nachkommen zeugen muss, denn es gibt genug Kinder, die ohne Eltern aufwachsen und man kann jede von ihnen als sein eigenes Ansehen, die Menschheit wird dadurch nicht gleich untergehen. Und ist man älter und braucht die Unterstützung seiner Familie oder Nachkommen, weil das Alter einen plagt, dann sind diese Kinder da. Sie sehen dich als ihren Elternteil und wollen, solange sie Liebe und Güte erfahren haben, diese auch erwidern. Egal ob leibliche oder adoptierte, ich würde immer wollen, dass mein Kind ihr Glück findet.

Das Gleiche gilt auch für das Volk. Ab und zu braucht es eine Führung, ja, aber es sollte nie soweit überhand nehmen, dass man vergisst für sich selbst zu denken. Auch das miteinander sollte stets gepflegt werden. Wenn man sich gegenseitig hilft, sein Glück und Wohlstand teilt, ist das nicht wahrer Segen?


Kuro Umi hat zuvor bereits zwei Kurzgeschichten in Anthologien veröffentlicht (u.a. Cosplay-Boy-Anthologie, Hrsg. Akira Arenth), das nächste Projekt ist schon für 2021 geplant.

https://www.facebook.com/KuronekoUmiume/
https://www.instagram.com/kuroneko_umiume/


Eva Andersson * Ayumi und die Prinzessin der Meere

1) Andersens Märchen "Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen" war Schuld daran, dass ich es als sechsjähriges Kind kaum erwarten konnte, endlich lesen zu lernen, denn es wurde mir nie bis zum Ende vorgelesen –  wohl weil es so traurig war. Also passte ich in der ersten Klasse auf wie ein Luchs, und nach einem Vierteljahr hatte ich nicht nur die Fibel von vorn bis hinten durch, sondern auch das heißgeliebte Andersen-Märchenbuch. Ich liebte diese Phantasiewelt, in der so viele kleine unbedeutende Dinge, Spielzeuge, Figuren zum Leben erweckt wurden, ich liebte die Sprache, und ja, ich liebte auch die Traurigkeit in vielen der Andersen-Märchen.

Mein Lieblingsmärchen war und ist "Die Schneekönigin". Dieses wunderschöne, traurige, poetische Märchen, es hat mir schon als Kind das Herz gebrochen. Der Eissplitter in Kais Auge, sein immer kälter werdendes Herz – und das kleine Mädchen Gerda, dessen Liebe es hinaustreibt aus ihrer sicheren kleinen Welt, um ihren Freund zu suchen. Die wundersamen Abenteuer und Figuren, denen sie begegnet – und wie sie den letzten Weg in die Eishölle schließlich ganz allein geht. Und dann endlich endlich das Eisherz schmilzt und die erlösenden Tränen Kai wieder in ein fühlendes menschliches Wesen verwandeln.

Und wer liebt nicht das Märchen vom hässlichen jungen Entlein in all seinen Qualen des Andersseins, in seiner Verzweiflung, das schließlich zu einem wunderschönen edlen Schwan wird?

 

2) Japan ist ein Land, dessen Kunst und Kultur mich schon lange fasziniert. Es gibt so viele Widersprüche, aber auch so viel Poesie, in der fast immer auch etwas Melancholisches steckt. Das alte japanische Märchen vom Fischerjungen Urashimataro, der sich in eine Meeresprinzessin verliebte und erst nach Hunderten von Jahren in sein völlig verändertes Dorf zurückkehren konnte, hat mich ein bisschen zu meinem Märchen "Ayumi und die Prinzessin der Meere" angeregt.

Ich wollte gar keine Aussage machen, es steckt auch keine bewusste Idee dahinter. Ich habe meiner Phantasie und meinen Figuren freien Lauf gelassen.


Eva Andersson schreibt Gedichte und Erzählungen, von denen einige bereits in Anthologien veröffentlicht wurden. Nach dem Erzählband Sehnsucht nach Wärme erschien im März 2017 ihr erster Roman Der Traum vom Lesbencafé. Es folgten weitere Erzählungen und zusammen mit J. Walther die Reihe Weihnachtsküsse.


DasTenna * Von der Nixe und dem Menschsein

1) Märchen trugen neben den Geschichten von Astrid Lindgren, Enid Blyton, Wilhelm Busch und Karl May sicher ihren Teil dazu bei, dass mein Wortschatz in der Grundschule ein wenig ungewöhnlich, um nicht zu sagen „altertümlich“ war. Und ich konnte Stunden damit zubringen, den Hörbüchern zu lauschen und mich in den Anblick der dazugehörigen aquarellartigen Illustrationen zu versenken. Die VHS-Kassetten mit den Hörbüchern bewahrt meine Mutter meines Wissens bis heute auf. Gegen Ende der Grundschulzeit hatten Märchen zugunsten von Comics, Manga, Sagen, Krimis und phantastischer Literatur das Nachsehen und so entdeckte ich Märchen erst nach der Geburt des Gnömchens vor knapp acht Jahren wieder. Dadurch habe ich auch erstmals Bekanntschaft mit Märchen aus anderen Kulturkreisen und mit modernen Märchen gemacht.

Bezeichnenderweise entdecke ich gerade im Stil eines Terry Pratchett, eines Walter Moers oder eines Douglas Adams viel von dem, was mich an Märchen fasziniert hat und noch immer fasziniert: Die Ambivalenz allen Geschehens trotz vermeintlicher Eindeutigkeit von Gut und Böse; die unterschwellige Schwere und Traurigkeit bei gleichzeitig hoffnungsfroher Leichtigkeit; die Gewissheit des guten Ausgangs; die bildhafte und Bilder erschaffende, tänzelnde Sprache; die Selbstverständlichkeit des Absurden.

Mein Lieblingsmärchen, neben Hans Christian Andersens „Die kleine Meerjungfrau“ und „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“, ist das Grimm‘sche „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“. Meine früheste Begegnung mit subtilem Horror und unfreiwilliger Komik.


2) Als ich die Ausschreibung entdeckte, war mir recht schnell klar, dass ich eine tragische Liebesgeschichte in Anlehnung an Hans Christian Andersens „Die kleine Meerjungfrau“ schreiben wollte. Denn ich liebe die Tragik dahinter und dass es nicht gut ausgeht, wenngleich am Ende dennoch ein Funken Hoffnung bleibt.

Um diesen Funken Hoffnung geht es mir denn auch. Darum, die Hoffnung nicht aufzugeben und Versuche zu wagen, Wege zu beschreiten, obwohl die Gefahr des Scheiterns besteht und alle behaupten, es ginge nicht.

Außerdem wollte ich zeigen, dass es verschiedene Arten und Weisen zu lieben gibt, die von einzelnen Personen individuell gewichtet werden, aber dennoch gleichwertig sind, und damit ein klein wenig auch zur asexuellen Sichtbarkeit beitragen.


Carmen Keßler, die auf DeviantArt, Instagram und Patreon als DasTenna und Das Nixblix unterwegs ist, hat bereits zahlreiche Texte veröffentlicht, darunter:

  • Fremd. Bekannt. In: Christoph-Maria Liegener (Hrsg.), 5. Bubenreuther Literaturwettberwerb 2019 (tredition 2019)

  • Antworten, unter Staub begraben. In: Spuren. Johnny X. Literaturzeitschrift der Goethe-Universität Frankfurt (2019)

  • Talente – oder: Nützlich ist relativ. In: Kinder auf dem Bauernhof (net-Verlag 2020)

  • Vergebung auf Ägyptisch. In: Uwe Tiedje (Hrsg.), Geschichten unterm Tannenbaum (telegonos publishing 2020)

     

Jobst Mahrenholz * Das Geheimnis des kupfernen Löffels

1) Ich bin wie das Gros hier mit Märchen aufgewachsen, habe sie geliebt (Grimm) und gefürchtet (Andersen). Sie haben mich in die Nacht begleitet, meine Träume geprägt auf entsprechende Weise.

Was sie mir bedeuten? Sie sind Vorreiter von Fantasy, wobei ich feststelle, dass ich tatsächlich ein Fan von Märchen bin, (vielleicht aufgrund der einfachen Struktur her), nicht jedoch von fantastischen Welten, (vermutlich aufgrund der überbordenden Struktur her. Alleine die Namen!). Sprechende Wölfe/Frösche/Ziegen/Kater akzeptiere ich unvoreingenommen – und gut.

2) Frauen erlebe ich sinnlicher als Männer. Die Idee, dass eine herzensgute Hexe, (von der man ja das Gegenteil annimmt, im klassischen Märchen) sich in eine bitterböse Prinzessin verliebt, (von der man ja das Gegenteil annimmt, im klassischen Märchen) gefiel mir von Anfang an. Dann war da eine frivole Idee, die mir behagte, da ich selbst es schätze, Körpersäfte jeglicher Art und Geschlecht zu verkosten. Diesen Fakt als Lösung in meiner Geschichte unterzubringen, war das reinste Vergnügen. Das war der Kern. Auch der Funke Humor. Dann noch ein sprechender Spiegel, etwas orientalisches Beiwerk, ein Fluch, et voila.


Jobst Mahrenholz arbeitete nach einem Studium der Literatur, Journalistik und Kunst als leitender Rundfunkredakteur und freier Autor im Hörspielbereich. Heute widmet er seine Zeit ganz und gar dem Schreiben von Büchern. Zu den Veröffentlichungen des bekannten Autors zählen die Romane Lucas Rezepte, Der linke Fuß des Gondoliere, Eine Ahnung von Pan und zuletzt Tullio.

https://www.facebook.com/jobstmahrenholz.de/


Mercy Cunningham * Die gestiefelte Katze

1) Eine meiner frühesten Erinnerungen ist die an meine Oma, die mir aus einem wunderschön illustrierten Buch mit Märchen aus aller Welt vorliest. Märchen bedeuten für mich Geborgenheit und noch viel mehr. Sie haben meinen Wissensdurst geweckt, meine kleine Welt größer gemacht und haben in mich dazu inspiriert, selbst Geschichten zu erzählen.

Märchen waren für mich, als Mädel vom Land, der erste Kontakt zur phantastischen Literatur, die ich sehr liebe. Für mich ist es schwer, mich auf ein Lieblingsmärchen festzulegen. Jedes ist auf seine Weise wichtig. Im Augenblick mag ich die russische Verfilmung von On-Drakon (Neudeutsch: Dragon-Love Is A Scary Tale) sehr.


2) Wie würde sich eine Katze als menschliche Frau verhalten? Jede Katze weiß, dass sie schön ist. Sie ist irgendwie eine Prinzessin, aber dennoch eine Abenteuerin. Sie ist klug, charmant und sie geht ihren Weg, egal wer versucht, sie aufzuhalten. Sie weiß, was sie kann und lässt sich nicht von der Meinung anderer verunsichern. Gleichzeitig sind Katzen warme und liebevolle Wesen, die Nähe und Zuneigung zu schätzen wissen. Schon war eine Heldin geboren, und welches Märchen wäre passender für sie, als die gestiefelte Katze?

Was ich meinen Leserinnen jedes Alters mit diesem Märchen auf den Weg geben möchte ist: Das Leben ist nicht immer gerecht, nein, manchmal ist es sogar verdammt ungerecht. Man kommt in schlimme Situationen, ohne selbst die Schuld daran zu tragen. Irgendwann gelangt man an einen Punkt, an dem man nicht mehr weiterweiß. Dann ist es okay, einen Moment lang zu verzweifeln und die Hilfe von jenen anzunehmen, die einem die Hand reichen. Nur weil man sich gerade in einer weniger glücklichen Lage befindet, bedeutet das nicht, dass man es auf Dauer sein wird. In meiner Geschichte wäre Lenzi ohne Mina nie zu Stand und Reichtum gekommen, aber auch Mina wäre ohne Lenzi eine Katze geblieben. Vielleicht will ich auch einfach nur sagen, dass eine Beziehung ein Geben und Nehmen ist, das sich am Ende ausgleichen muss.


Mercy Cunningham hat ihre große Liebe zu einer guten Geschichte schon früh entdeckt. Bisher waren ihre Werke nur für einen kleinen Kreis zugänglich. Mit ihrem Märchen rund um die gestiefelte Katze gibt sie in dieser Anthologie ihr Debüt als Schriftstellerin.

 

 

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